„To live in the villages“ ist fuer die Ugander so schlimm wie die Verbannung. Am Wochenende haben wir es life erlebt. Wir waren in Nalweye, einem Dorf im Bezirk Kibale, rund 250 km von Kampala entfernt, in der Naehe vom Lake Albert und somit der Grenze zum Kongo.
Die Anreise war, wie jede Reise in Uganda, voller Hindernisse und Ueberraschungen. Man ist froh, wenn man ankommt, und verschwendet keine Zeit und keine Musse, links und rechts zu schauen. Wir waren zu viert unterwegs: Teacher Rogers, David, Henry und ich. Unsere Mission war der Besuch von Teacher Enock in seiner neuen Schule. Trotzdem wir uns schon um sieben Uhr frueh mit Teacher Rogers in Kampala zur Abreise trafen, kamen wir erst um acht Uhr dreissig von dort weg, denn zunaechst hiess es, den richtigen „Taxipark“ fuer die Abfahrt zu finden. Dann mussten wir natuerlich wieder warten, bis das Taxi voll war. Doch dieses Mal war es nicht so schlimm – die Wartezeit ueberbrueckten wir mit sehr leckerem wuerzigen Tee und Chapati (einer Art Palatschinken), die zum Taxi serviert wurden.
Nach gut dreieinhalb Stunden erreichten wir Hoima, den Hauptort des gleichnamigen Bezirkes, rund 210 km von Kampala entfernt. Die Strasse dorthin ist sehr gut ausgebaut und das offenbar erst seit kurzem, denn auf meiner Uganda-Karte ist sie noch als unasphaltierte Landstrasse eingezeichnet. In Hoima mussten wir umsteigen auf ein „Special Hire“-Taxi, das uns zu unserem Zielort brachte. Im Vergleich zum Sammeltaxi ist so ein Special Hire sehr teuer, obwohl natuerlich mit drei Euro pro Person immer noch eine Lapalie. Diese Special Hire Taxis heissen so, weil man sie fuer sich exklusiv anheuern kann, was aber nur in der Theorie so ist, denn in der Praxis wird dieses Taxi auch mit Passagieren und Gepaeck vollgestopft. Es ist eben alles eine Preisfrage. Unser Special Hire war ein ausgeleierter Toyota Corolla, den der Fahrer unerschuettert ueber die ihm offenbar wohlvertraute Sandpiste jagte. Das war eigentlich recht lustig und spannender als jede Fahrt mit einer Hochschaubahn. Der Fahrer schien zu wissen, was er tat. Fuer die 35 km nach Nalweye benoetigten wir rund eine Stunde. Staubig, verschwitzt, aber gut gelaunt kletterten wir am fruehen Nachmittag aus dem engen Auto.
Teacher Enock erwartete uns schon am Strassenrand. Die Freude war gross, ihn wiederzusehen! Ich habe ihn kennengelernt, als er noch im Waisenheim arbeitete, das wir und viele von Euch unterstuetzt haben. Wir haben unzaehlige Mittagspausen miteinander verbracht und dabei viel ueber die Unterschiede zwischen Oesterreich und Uganda philosophiert. Teacher Rogers war sein Arbeitskollege im Heim und David und Henry seine Schueler. Wir alle freuten uns auf das Wochenende mit Teacher Enock!
Nach der Schliessung des Heims musste sich Teacher Enock nach einer neuen Arbeit umsehen. Der Ruf ereilte ihn, er solle in einer Schule in der Naehe von Hoima aushelfen, bis er in einer anderen Schule, die gerade von einer US-amerikanischen Organisation aufgebaut wird, arbeiten kann.
Also hatte er voller Hoffnung seine Familie und sein Hab und Gut gepackt und sich auf den Weg nach Hoima gemacht. Die Ueberraschung – oder muss man sagen, die Enttaeuschung? – war gross! Der Ort war nicht, wie ihm am Telefon angekuendigt, sieben Kilometer von Hoima entfernt, sondern mehr als dreissig! Das klingt jetzt nicht nach einem grossen Unterschied, doch in Uganda ist es das schon. Das bedeutet „to live in the villages“ – das bedeutet ein sehr bescheidenes Leben!
So weit von einem Hauptort entfernt heisst zunaechst kein Strom. Kein Strom bedeutet: ab sieben Uhr, wenn in Uganda die Nacht hereinbricht, nur Licht mit Paraffinlampen, spaerliche Information, denn kein TV, Radio nur mit Batteriebetrieb, eingeschraenkte Kommunikation, denn Aufladen des Mobiltelefons nur im einzigen Shop, das ueber eine Solaranlage verfuegt, und das limitiert, da alle dort ihr Telefon aufladen und die Kapazitaet der Solaranlage dafuer manchmal nicht reicht.
Kein Strom bedeutet weiters kein uneingeschraenkter Zugang zu Geld. Die naechste Bank mit Geldabhebeautomat ist in Hoima. Die Fahrt von und nach Hoima ist nur mit dem Special Hire Taxi moeglich und kostet UGX 20.000! Das ist fuer viele Ugander auf dem Land ein Viertel ihres Monatseinkommens, sofern sie ein Einkommen haben! Denn auf dem Land gibt es ja eigentlich keine Arbeitgeber. Man muss sich mit einem eigenen Business ueber Wasser halten oder man ist zum Beispiel Lehrer wie Teacher Enock.
Der Zugang zu Geld ist unglaublich schwierig und von vielen Faktoren abhaengig: Kommt – wie im Fall von Teacher Enock – das Geld von einem auslaendischen Geldgeber, so wartet er zunaechst auf ein SMS, das ihm die Ueberweisung ankuendigt. Das SMS kann er nur dann erhalten, wenn sein Mobiltelefon Strom hat. Manchmal kann es passieren, dass er drei bis vier Tage auf das Laden seines Telefons warten muss. Bekommt er also die ersehnte Nachricht, so hat er entweder das Glueck, noch ueber UGX 20.000 zu verfuegen, um mit einem Special Hire nach Hoima zu gelangen, oder er muss das Geld fuer die Fahrt von jemandem leihen. Abhaengig von der Hoehe der Ueberweisung ist das Beheben des Geldes ein grosser oder ein geringer Gewinn, der die Kosten fuer die Fahrt kaum wettmacht.
„In the villages“ bedeutet weiters Wasser schleppen. Fuer Teacher Enock und seine Nachbarn liegt die naechste Wasserstelle gut einen Kilometer entfernt! Wasserholen ist Kinder- und Frauensache. Teacher Enocks Kinder sind noch jung: Elijah ist sieben, Elisha ist drei. Daher geht seine Frau ums Wasser.
Man sollte es nicht glauben, nicht wahr? Uganda ist so reich an Regen und trotzdem ist der Zugang zu Wasser so unglaublich schwierig. Nalweye ist umgeben von einem Sumpf, Wasser gibt es also zur Genuege, doch wie anders als durch Holen kommt das Wasser zu den Menschen? Fuer Wasserleitungen, die das Wasser vom Sumpf den Hang, wo die Haeuser stehen, hinaufpumpen, fehlt der Strom. Eine Moeglichkeit waere, Brunnen zu bauen, doch dafuer fehlt es der Bevoelkerung an Geld.
„In the villages“ bedeutet auf jeden Fall nicht zu hungern, denn die Erde ist fruchtbar und die Erntesaisonen sind reichlich. Man muss kein grosser Bauer sein, um fuer seinen taeglichen Bedarf anzubauen und zu ernten. Daher gehen viele Menschen aufs Land, wenn sie in der Stadt keine Chance auf Arbeit mehr haben, denn am Land hat man wenigstens Essen.
„In the villages“ bedeutet Bildungsmangel. Die Lehrer sind schlecht bezahlt, daher sind sie schlecht, unerfahren, unmotiviert – gute Lehrer zieht es in die Stadt. Die Schulen haben kein Geld fuer Schulmaterial wie Buecher oder Schreibutensilien, ganz abgesehen von Anschauungsmaterial. Alles wird auf Poster gezeichnet, die an die Waende gehaengt werden. Die Kinder sind daher schlecht ausgebildet, schaffen kaum gute Abschluesse. Aber nur ein guter Abschluss ermoeglicht den Besuch einer guten weiterfuehrenden Schule.
Die Abschlusstests, die sogenannten „Primary Leaving Examinations“ sind schriftliche, standardisierte Tests. Man muss schon einigermassen gut Englisch koennen, um die Fragen in den Faechern Mathematik, Science und Social Studies zu verstehen. Die Kinder werden in den Schulen am Land von den unmotivierten Lehrern nur wenig dazu angehalten, Englisch zu reden, daher haben sie allein damit Probleme, dem englischsprachigen Unterricht zu folgen, geschweige denn, die PLE-Fragen zu verstehen und richtig zu beantworten.
Teacher Enock hat alle Haende voll zu tun, um die Primary-Seven-Klasse, die er unterrichtet, zu erfolgreichen PLEs zu fuehren. Teilweise muss er den Stoff der fuenften und sechsten Klasse wiederholen, weil seine Schueler schon da grosse Luecken zeigen.
Die Rueckstaendigkeit zeigt sich auch im Aberglauben. Die Bezirke Hoima und Kibale liegen am Lake Albert und dieser ist Teil des Great Rift Valleys, des Grossen Afrikanischen Grabenbruchs. Durch den Grabenbruch erlebt dieses Gebiet viele Erdbeben – eines davon haben wir vergangene Woche sogar in Kampala gespuert! Es war unheimlich, als ploetzlich in der Nacht der Boden schwankte, alle Tueren schepperten und die Voegel vor Schreck aufschrieen und aufflatterten.
Am naechsten Tag entnahm ich den Nachrichten, dass sich das Zentrum des Erdbebens mit einer Staerke von 5,6 nach Richterskala in Hoima befand. Teacher Enock hat dieses Erdbeben hautnah und erschreckend heftig erlebt. Gott sei Dank ist den Haeusern und damit den Menschen nichts passiert.
Die Menschen sind diese Erschuetterungen gewoehnt. Aber sie glauben an lokale Goetter und sind davon ueberzeugt, dass ein Erdbeben das Zeichen von Aerger dieser Goetter ist. Also laufen sie aus ihren Haeusern und rufen um Vergebung. Teacher Enock hat versucht, seinen Schuelern das Phaenomen zu erklaeren, aber sie konnten sich nicht vom Gegenteil ueberzeugen lassen.
So ist also die Situation am Land: Man hat Essen, aber kein Geld und keine Bildung. Das wenige Geld, das man einnimmt, benoetigt man fuer das taegliche Leben: fuer Zucker, Salz, das Laden des Mobiltelefons, „Airtime“ zum Telefonieren, Seife zum Waeschewaschen, Sandalen, als Lehrer fuer Kugelschreiber zum Korrigieren der Arbeiten. Grosse Anschaffungen wie feste Schuhe, Gewand, eine Fahrt zu Verwandten oder gar eine eigene Solaranlage sind da absolut nicht drin!
Wir haben viel gesehen an diesem Wochenende. Der Hoehepunkt war der Besuch der Schule, wo Teacher Enock unterrichtet. Und davon erzaehle ich Euch im naechsten Eintrag.